Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz; kaum fängt man
an, darüber nachzudenken, schon kommt man vom Hundertsten ist Tausendste. Vom
Friedhof, der Kirche und den
Diskussionen um das christliche Kreuz in öffentlichen Schulen und
Gerichten kann man zum Roten Kreuz, zum
Schwarzen Kreuz, dem Plus (+) oder dem „mal“ (x) der Mathematik kommen. Wenn
Österreicher jammern, sie hätten „ein Kreuz mit dem Kreuz“, dann haben Sie
Rückenprobleme. Die Österreichische Politik kennt das Kreuz mit
dem "recht-winkeligen" Hakenkreuz, das man öffentlich nicht tragen darf, obwohl wir
alle nach der bekannten Metapher ohnehin unser Kreuz tragen
müssen.
„Wo kann ich denn hier meine 3 Kreuzerl
machen?“ stöhnen wir, wenn wir ein unübersichtliches Formular mit unseren Namen
signieren sollen. Ein Kreuz nach dem Namen einer Person (†) bedeutet, dass sie
verstorben ist und hoffentlich in Frieden auf dem Friedhof ruht, sonst muss der
Vampirjäger Van Helsing kommen, um die unruhigen Untoten mit seinem Kruzifix
zurück in die Gräber zu scheuchen.
Wenn wir als Kinder die Wahrheit schwören
sollten, aber trotzdem „wie gedruckt“ gelogen haben, haben wir die Finger
hinter unserem Rücken gekreuzt, damit der Schwur nicht gilt. In andern Ländern ist dieselbe Geste positiv besetzt; man sagt „I’ll keep my fingers crossed“ wenn man jemandem
„die Daumen halten“ will.
Offenbar entzieht sich selbst eine so einfache
Struktur wie zwei einander überschneidende kurze Linien jeder vorschnellen semiologischen
Fixierung: zwei gekreuzte Striche können je nach Kontext und Kreuzungs-Winkel
beinahe beliebig viele unterschiedliche Bedeutungen vermitteln.
Die beiden Linien müssen sich nicht einmal im
Winkel von 90 Grad schneiden, um ein Kreuz zu bilden, auch ein X ist ein Kreuz,
wenn auch das Römische X aus zwei aufeinander stehenden „V“ (für 2 x 5) entstanden sein mag. Drei „XXX“ können
demnach „30“ bedeuten, aber ebenso für „XXX-tra
Large“ oder XXX – Rated“ stehen.
Musik- und Literaturwissenschaftler denken im
Zusammenhang mit einem Kreuz vielleicht an den unglücklichen Siegfried, dem das
Kreuz auf seinem Gewand den Tod gebracht hat, weil es seinem Mörder die einzige
Stelle bezeichnet hat, an der Siegfrieds Drachenblutpanzer durchstoßen werden
konnte.[1]
Bei Siegfrieds Geburt sind die Sterne vermutlich schlecht gestanden, „Born
under a Bad Sign“, wie Cream 1968 auf
Wheels of Fire singen, mit der unvergesslichen Zeile:
„if it wasn't for bad luck, I
wouldn't have no luck at all.”
Unfassbares
Glück hatte hingegen Kaiser Konstantin in einer Schlacht, die bereits verloren schien. Im Jahre 312 nach
Christus (wie selbst Atheisten heute sagen, ohne sich viel dabei zu denken) ist
ihm entweder im Traum oder während der Schlacht ein „himmlisches Zeichen“
erschienen. Der Kirchenhistoriker Eusebius berichtet, es habe sich um ein
leuchtendes Kreuzzeichen am Firmament gehandelt, darunter sei die aufmunternde Botschaft
„En toutō nika“ zu sehen gewesen, die üblicherweise mit „in hoc signo vinces“ (= in
diesem Zeichen sollst Du siegen) übersetzt wird.[2]
Die Einzelheiten dieser semiotischen Anekdote
sind umstritten, fest steht jedoch, dass Konstantin die Schlacht gewonnen und
damit zum Siegeszug des Kreuzzeichens im Abendland beigetragen hat. Hätte er
die Schlacht verloren, wäre das Kruzifix als Symbol des gekreuzigten Christus
vielleicht schon längst vergessen oder noch immer tabu, stattdessen finden wir
es sogar im 21. Jahrhundert in Bereichen, wo es schon längst fehl am Platz ist,
z.B. in der deutschen Version von Wikipedia.
Wikipedia verwendet wie viele andere
Nachschlagewerke ein Kreuzzeichen (†) hinter dem Namen von Personen, um anzuzeigen, dass die fragliche
Person verstorben ist. Die religiöse Herleitung dieses Codes ist klar: Christus
sei am Kreuz gestorben (wenn auch nicht ganz), deswegen wird ein kleines † als Zeichen für „verstorben“
verwendet (vielleicht auch als tröstlicher Hinweis auf die kleine Chance der Wiederauferstehung).
Nach einer ähnlichen Konvention wird ein
Sternchen (*) als Zeichen für Geburt
gebraucht. In der lateinisch-griechischen Bezeichnung „Asterisk“ steckt der
Hinweis, dass dieses Zeichen tatsächlich einen kleinen Stern („asteriskos”)
darstellen soll. Über den „Stern von Bethlehem“, der Christi Geburt angekündigt
habe, hinaus, kann man im Asterisk eine vorchristliche Assoziation erkennen.
Die Astro-logie (Sternenkunde), die sich mit der magischen Bedeutung der Sterne
und Sternbilder für das Leben der Menschen beschäftigt, ist viel älter als die
Theo-logie des Monotheismus.
Bei dem Wikipedia-Eintrag über Kaiser Konstantin
mag die religiös-semiotische Einrahmung seiner Lebensdaten noch akzeptabel
erscheinen, bei vorchristlichen Philosophen wie Platon oder Aristoteles, die lange
vor der konstantinischen Etablierung des Kreuzzeichens gestorben sind,
erscheinen diese Codes absurd. Auffällig ist, dass in den anderen Sprachen, in
denen ich Wikipedia überprüft habe, dieser ohnedies redundante Zeichengebrauch
nicht vorhanden ist, natürlich auch nicht in der hebräischen Version, aber das sollte
sich ja von selbst verstehen.
Vermutlich internen Regeln der Zeichensetzung
folgend gibt der deutsche Wiki-Eintrag z.B. zu Papst Johannes Paul II. die Lebensdaten
so an: (*1920 - †2005). Diese für die
deutsch-österreichische Wikipedia typische ideologisch-ikonische Verdoppelung findet
man nicht einmal in den spanischen und italienischen Wiki-Versionen, die
traditionell christliche Kulturen ansprechen. Italienische und spanische
Wiki-Einträge enthalten nur die einfache Angabe von Geburts- und Sterbejahr, die
im Kontext eines biographischen Eintrags ohnehin nichts an semiotischer
Klarheit zu wünschen übrig lässt. Es ist bemerkenswert, dass gerade die deutschsprachige
Wikipedia systematisch päpstlicher als der Papst ist und die Geburts- und
Sterbedaten aller Personen mit (* - †) rahmt und semiotisch redundant
verstärkt.
Das Stern-von-Bethlehem-Sternchen und das Kruzifix
finden wir logischerweise (= der deutschen Wiki-Logik der Zeichensetzung
folgend) bei den deutschen Wiki-Einträgen zu jüdischen Rabbis,
fundamentalistischen Mullahs, zum erleuchteten Buddha und natürlich auch zu
Karl Marx (*5.Mai 1818 in Trier † 14. März 1883 in London), von dem immerhin
das berühmte Diktum stammt „Sie [die Religion] ist das Opium des Volkes“[3]
Alle von mir aufgerufenen nicht-deutschsprachigen Wiki –Einträge kommen hingegen
bei Marx und allen anderen Menschen ohne
opiatische Sternchen und Kreuzerl aus. Marx würde sich im Grab umdrehen, wenn
er den deutschen Wikipedia – Eintrag über sich selbst sehen könnte: Kruzifix nochamal!
P.S.: Bekanntlich sind die französischen
Revolutionäre mit ihrem Versuch, den Kalender an der Geburtsstunde (oder doch
Renaissance) der Demokratie auszurichten, gescheitert. Mehr als 200 Jahre nach
der Aufklärung wäre es längst an der Zeit, unsere Zeitrechnung anstatt auf die
Geburt des Menschensohns(?) auf ein seltenes
und eindeutiges astronomisches Ereignis auszurichten, es muss ja nicht unbedingt der Stern von Bethlehem
sein.
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