Werfen wir einen semiotischen Blick auf eine
der ältesten und bekanntesten Kriminalgeschichten der Welt: Kain erschlägt
seinen jüngeren Bruder Abel. Ich schreibe bewusst Kriminalgeschichte (lat. crimen = Verbrechen) und nicht
Detektivgeschichte (vgl. engl. detect = aufdecken), da der Herrgott der Torah bzw. des Alten Testaments ohnedies von Anfang an immer alles weiß. Daher muss
er den Brudermord nicht erst post festum
als Detektiv à la Sherlock Holmes aufklären. Dazu kommt, dass Kains Blut quasi
von selbst zum Himmel „schreit“, wie es in der Bibel so schön heißt. Außerdem
gab es damals ohnehin nicht viele Verdächtige außer Adam, Eva, Kain und
vielleicht noch der Schlange. Obwohl Kriminalgeschichten definitonsgemäß
semiotisch anspruchsloser sind als Detektivgeschichten, lässt sich gerade an dieser
archaischen Kriminal-Dreiecksbeziehung zeigen, wie sehr sich eine semiotische
Analyse von anderen Interpretationen und Erkenntnisinteressen unterscheidet.
Das Unheil beginnt - zumindest dramaturgisch - damit, dass Kain
und Abel dem Herrn Opfer bringen. Der weitere Verlauf wird im 1. Buch Mose, Kap. 4 so erzählt:
„Und der HERR sah gnädig an Abel und sein
Opfer; aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. (.....) Und es begab
sich, da sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und
schlug ihn tot.“
Der Herrgott, der alles sieht und weiß, stellt
Kain zu Rede und verflucht ihn. Kain bekommt es mit der Angst zu tun, selbst
zum Mordopfer zu werden, aber der Herr erweist sich als aktiver und weitblickender Semiotiker:
„(...) der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, wer ihn
fände.“
Dieser semiotische Schlussakt ist die
auffälligste aber bei weitem nicht die einzige Zeichenoperation, die diese
Geschichte charakterisiert. Bevor wir genauer auf das semiotische Ping-Pong
zwischen Kain und dem Herrgott eingehen, ist noch eine – ebenfalls semiotische
– Richtigstellung angebracht: Natürlich stimmt meine einleitende Behauptung, „Der
weitere Verlauf (werde) im 1. Buch Mose,
Kap. 4 so erzählt“, nicht ganz. Sprachlich ist die Version, die ich zitiert
habe, vermutlich die Bearbeitung einer Übersetzung einer Übersetzung einer
Übersetzung. Schon allein die Grundsatzfrage, ob heilige Texte als Wort eines Gottes/einer Göttin oder seiner/ihrer ProphetInnen überhaupt aus einem Originalzeichensystem (wenn es denn
ein Original gibt) in andere Zeichensysteme (Sprachen, Bilder) übersetzt werden
dürfen, ist bei kirchlichen Autoritäten – je nach Religionszugehörigkeit – teilweise höchst umstritten.
Wenn die Übersetzung an sich erlaubt wird, dann wird in der Folge logischerweise
die Frage nach der „richtigen Übersetzung“ zur Streitfrage, an der sich Glaubenskriege
entzünden können, wie wir von Martin Luthers Maxime „sola scriptura“ - nur die
(heilige) Schrift ist ausschlaggebend - und den Reformationskriegen wissen.
Ich werde die Frage der Übersetzung als
semiotischer Operation, bei der es um weit mehr geht, als den Versuch, die Zeichen einer
Sprache durch die möglichst „entsprechenden“ Zeichen einer anderen Sprache zu
ersetzen, noch ausführlich behandeln. Da in diesem Abschnitt jedoch der
„semiotische Blick“ im Vordergrund steht, genügt es vorerst, wenn wir vom
genauen Wortlaut, den Details und den Variationen der zahlreichen Übersetzungen absehen, und uns an die Grundstruktur,
das Skelett der Geschichte, halten:
1) Adam und Eva haben mehrmals Sex
miteinander und Eva gebiert zwei Söhne. (Sex wurde oft als „Adam erkannte Eva“ eingedeutscht, - soviel an dieser Stelle doch noch
zu „sola scriptura“, später dazu mehr).
2) Beide Söhne bringen dem Herrgott Opfer
dar.
3) Kains Opfer wird – zumindest nach
Kains Ansicht (!) – vom Herrgott schlechter bewertet als Abels Opfer.
4) Kain erschlägt Abel.
5) Der Herrgott verflucht ihn und
setzt (nicht nur damit) ein Zeichen.
Obwohl diese Geschichte Jahrtausende alt ist,
ist sie noch immer fester Bestandteil unseres kulturellen Wissens. Das hängt
damit zusammen, dass man sie, wie jede gute Geschichte, von historischen, theologischen, anthropologischen,
psychologischen oder auch genderspezifischen Blickwinkeln aus immer
wieder neu betrachten kann. Diese Betrachtungsweisen sollen im Folgenden jeweils
kurz skizziert werden, um die Differenz zum Semiotischen Blick, der
Analysemethode, die im Zentrum dieses Blogs steht, hervorzuheben.
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