Sunday, September 24, 2023

AI oder IA? Die künstliche Intelligenz und wir. Anmerkungen aus der Sicht der Humanities.





Künstliche Intelligenz ist in aller Munde“, hab’ ich im Radio gehört und sofort an meine Zahnärztin gedacht. Wie jede radikale Neuerung ruft auch die Künstliche Intelligenz Misstrauen, Ängste und Gegner*innen hervor.

Schon die Entwicklung der Sprache war vermutlich umstritten. Als der erste Urmensch „wir sollten endlich sprechen lernen!“ gesagt hat, haben ein paar Ängstliche still gedacht „Das ist das Ende!“ Mit den Bildern entstanden die Bilderstürmer: „Du sollst Dir kein Bild machen!“ - „Mal nicht den Teufel an die Wand!“ Bei einem antiken Philosophen findet man den pragmatischen Gedanken, ein gemalter Sessel sei ein Nichtsnutz, auf dem man nicht einmal sitzen kann.

Die Erfindung der Schrift wurde wiederum von den Verteidigern des Mündlichen abgelehnt. Mit dem Schreiben komme die Vorspiegelung von Wissen. Ab-Schreiber schmücken sich mit fremden Federn. Verschriftlichung bedeutet zudem radikale Reduktion. Lautstärke, Tonfall, Lautfärbung, liebevolles Lächeln oder zynisches Grinsen, – all das geht verloren, wenn wir zwischenmenschliche Kommunikation ins Korsett des Alphabets schnüren. Deswegen streuen wir emojis wie Parmesan über die Pasta in die Text-Nachrichten ein.

Schrift gebiert die sogenannteSchöne Literatur“, das Paradies der Lügner*innen und Sprachspieler*innen, Taugenichtse und Tunichtgute (Wie gendert man das?). Im Sommer kommt es an den Tag: auf jeder Strandliege Faulenzer*innen, die die immer gleichen Krimis lesen. Besonders beliebt sind Serienmörder*innen. Schöne Literatur.

Theaterfeind*innen warnen seit Jahrtausenden vor den Darsteller*innen und Stücken. Schauspieler*innen seien professionelle Versteller*innen, die sich dem gaffenden Publikum zur Schau stellen. Täuschung, Lug und Betrug. Die Handlungen der ältesten Stücke? Sex & Crime! Eltern, die ihren Sohn als Baby in der Wildnis aussetzen, damit ihn die wilden Tiere fressen. Der Kerl überlebt, erschlägt seinen Vater, geht mit seiner Mutter ins Bett, zeugt mir ihr vier Kinder und sticht sich dann selbst die Augen aus. Sonst noch Fragen?

Das Kino? Eine Traum- und Alptraum-Fabrik. Du sollst Dir kein Bild machen - schon gar kein bewegtes! Fernsehen? Schlimmer als Film. TV ist die gefährlichste Droge im Wohnzimmer, nicht LSD hieß es in den 60er Jahren. Zuletzt das Internet. Das digitale Ganze ist abscheulicher und schädlicher als die Summe der einzelnen Teile. Der gläserne Mensch, die Welt als digitale Blase, die Abgründe des Darknet.

Nach Jahrzehnten der leeren Versprechungen kommt die künstliche Intelligenz in den letzten Jahren ernsthaft ins Spiel. Wie zu erwarten heulen die Weltuntergangs-Propheten wieder auf – und ich bleibe gelassen. Dass jeder Blechtrottel den Schachweltmeister schlägt, - von mir aus. Dass mein Psychiater eine emotional intelligente Software ist, - soll sein; er hört mir wenigstens zu. Dass wir alle ferngesteuerte Konsument*innen geworden sind, die brav im Algo-Rhythmus schwingen und kaufen, kaufen, kaufen – Jammern auf hohem Niveau.

Wenn aber Chatbots Matura-, Seminar-, Masterarbeiten und Dissertationen schreiben, hört sich der Spaß auch für mich auf. In Zukunft werden nur mehr die Dinosaurier ihre akademischen Titel ehrlich erwerben. Der Siegeszug der digitalen Chatbot-Fleckerlteppiche bedeutet mehr als bloß einen Quantensprung des Plagiierens. Manche Politker*innen werden sich darüber freuen, weil ihre händisch zusammengestoppelten Plagiats-Eisberge im Vergleich dazu nicht mehr der Rede wert sind. Aus meiner Sicht könnte der Aufstieg der AI – generierten Texte das Ende der Bildung im traditionellen Sinn bedeuten - zumindest im Bereich der Massenstudien im Feld der diskursiven Wissenschaften. Die Gleichung (pun intended) lautet: Fernstudium + Chatbot = jede/r ist Doktor*in, völlig unabhängig von der Qualifikation.

Was tun? Die Theorie ist einfach, die Praxis schwierig, die Lösung nicht besonders sexy: zurück an die Anfänge von Wissenschaft und Bildung = zurück zum Dialog. Da es keine „natürliche“ Intelligenz mehr erfordert, das Wissen der Welt mit ein paar Mausklicks in „wissenschaftliche“ Texte umzuwandeln, die man gegen einen akademischen Grad eintauschen kann, gibt es nur einen Weg, um festzustellen, was die Maus-Klicker*innen tatsächlich im Kopf haben: persönliche Gespräche. Ich fordere daher die Rückkehr zur schwarzen Pädagogik des „zur Rede Stellens“, natürlich ohne deren dunkle Flecken (Besserwisserei, Autoritätsgefälle, Zwang, Nachplappern etc.).

Wir brauchen wertschätzende Face-to-Face Kommunikation als Gegengewicht zur KI. Dazu muss das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden so verändert werden, dass alle genügend Zeit und Freiraum haben, um intensiv und stressfrei miteinander zu reden. Bildungspolitik muss in „natürliche und emotionale Intelligenz“ (= Menschen) investieren; Investition in Apparate allein ist keine intelligente Lösung. Eine Änderung der bestehenden Betreuungsverhältnisse ist teuer. Da es billiger und populistisch besser vermarktbar ist, gratis iPads für alle Kindergarten-Kinder zu fordern und den Universitäten schnellere Rechner zu versprechen, sehe ich schwarz für die Zukunft der Bildung. Wenn wir den direkten Dialog nicht aufwerten, überlassen wir das Feld der AI und machen uns selbst zu Esel*innen: IAHHH statt AI!
P.S: Das ist natürlich eine äußerst beschränkte und naive Sicht der Gefahren der AI. Wenn kümmert es schon, wenn alle, die auf akademische Titel "stehen" auch einen führen. In Österreich ist ja seit jeher die Frau eines Arztes die Frau Doktor. (Übrigens. Gilt das auch umgekehrt?). Wer wissen will, was uns via AI droht, sollte sich Spielbergs Minority Report (2022) wieder einmal anschauen. Oder Philip K. Dicks Story, auf der der Film basiert, aus dem Jahre 1956(!) lesen. Dann bekommt man den Eindruck, dass die drogengeschwängerte Paranoia der Vergangenheit zur digitalen Gegenwart geworden ist.

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