Seit Ferdinand de Saussure gehört die Unterscheidung
zwischen signifiant (der aktivierenden Form, die etwas in unserem Bewusstsein
bewirkt, dem Be-deutenden) und signifié (dem aktivierten Inhalt, der
Vorstellung, der Bedeutung) zum kleinen 1x1 der Semiotik.
Der Vater der modernen Linguistik sprach schon früh von
einer zukünftigen allgemeinen Zeichenwissenschaft (sémiologie), die sich mit
allen Arten von signifiant +signifié – Kombinationen beschäftigt, nicht nur mit
den gesprochenen und geschriebenen Zeichen.
Durch Quentin Tarantinos Inglorious Basterds ist der semiologische
Grundgedanke, dass wir mit Händen und Füßen sprechen und uns dabei verraten
können, populär geworden, weil Tarantino in einer der berühmtesten Szenen seines
Films einen „intersemiotischen“ Konflikt mit tarantino – typisch - tödlichem
Ausgang inszeniert hat.
In Inglorious Basterds kann sich der britische Offizier Lt.
Archie Hicox sich trotz eines auffälligen Akzents erfolgreich als Deutscher
ausgeben. Hicox spricht so als wäre er ein Deutscher, aber er "tut"
eben nicht genau so. Das wird ihm zum Verhängnis. Als er in einer Bar in
deutscher Sprache „3 Gläser“ bestellt und dabei – wie es ihm als Briten in Fleisch und
Blut übergegangen ist - auf Englisch den Zeige-, Mittel- und Ringfinger hochhält, fällt er nonverbal aus der Rolle und wird von den Deutschen entlarvt.
Wieso zählen Briten anders als Deutsche? Diese Frage kann
man möglicherweise mit einem Umweg über das Thema „Digitaluhren“ klären, auch
wenn die Verbindung nicht sofort klar erscheint.
Eine Digitaluhr stellt die Zeit (semiotisch gesprochen:
symbolisch) als Zifferncode dar, die Form der Ziffern selbst (als signifiant)
hat keinen ikonisch - abbildenden Bezug zum Stand der Sonne.
Für sich genommen geben Digitaluhren mit arabischen Ziffern
keinen „ikonischen“ Hinweis darauf, ob die Sonne um 8:37 schon einen längeren
Weg zurückgelegt hat als um 7:38, ob sie um 11:07 höher steht oder um 15:49.
Deshalb muss man die laufenden Ziffern der Digitaluhr wie
die Buchstaben des Alphabets lesen lernen, um ihre Zeitangabe „ent-ziffern“ zu
können. (Man könnte allerdings auch ganz lange auf eine Digitaluhr starren und
zugleich die Sonne beobachten, um den „konventionellen“ Code zu
re-konstruieren).
Etymologisch ist es eigentlich widersinnig, dass uns ausgerechnet Digitaluhren keinen direkten Fingerzeig(er) für die Zeit liefern, da sich der
Begriff digital vom lateinischen digitus ableitet, was Finger bedeutet. Aus der
Sicht der Etymologie sollten Digitaluhren daher Zeiger-Finger statt Ziffern haben. Früher haben wir – wie alle archaischen Gesellschaften und Kinder – mit den Fingern bis Zehn gezählt. Wenn wir bei den römischen Ziffern geblieben wären, hätten Digitäluhren tatsächlich noch „Finger“.
Römische Ziffern sind Zeichen unseres verkörperten Wissens: I steht für den gerade in die Höhe gereckten Zeigefinger, II
für Zeigefinger und Mittelfinger, III für Zeige-, Mittel- und Ringfinger, IIII für
alle Finger mit Ausnahme des in der Handfläche versteckten Daumens, V für alle
fünf Finger; der einfachen Darstellbarkeit wegen werden jedoch nur der schräg
stehende Daumen und der abgespreizte kleine Finger abgebildet.
Das abschließende römische X ist ein
vereinfachtes Abbild von zwei aufeinander stehenden V, die jeweils für fünf
gespreizte Finger stehen.
Dass man IIII später bevorzugt - nicht ikonisch - als IV geschrieben hat, ist
eine kulturelle Weiterentwicklung des Codes, um Missverständnisse und
Lesefehler zu vermeiden. Vier identische Zeichen nebeneinander sind
schwerer zu entziffern als zwei, die mit einer konventionellen Subtraktionsregel verbunden
sind. Dennoch findet man auf manchen Zifferblättern auch die ältere IIII-Schreibweise.
Im Englischen ist aus dem lateinischen digitus das Wort digit (Ziffer) geworden, das wir für Ziffern verwenden, obwohl ihnen, wie erwähnt, die römische Finger-Ikonizität fehlt.
Wer eine Eselsbrücke zwischen Finger und dem modernen Begriff von digital braucht, kann sich digital als „in Einzelheiten zerlegt“ vorstellen und die einzelnen Einheiten im Geist mit dem Finger abzählen.
Wenn Engländer wirklich mit den Fingern zählen, lässt sich der
Einfluss des alten römischen „Digital-Fingers“ noch ablesen, denn im
anglo-amerikanischen Raum beginnt man mit dem ausgestreckten Zeigefinger, der
für I steht. Deutsche und Österreicher beginnen hingegen mit dem
Daumen zu zählen.
Diese semiotische Differenz von (deutscher) Sprache und (römischer/britischer)
Gestik verrät Lt. Archie Hicox, seine Deckung fliegt auf, Hicox wird getötet. Der Teufel steckt eben im Detail.
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