In der Praxis ist Voodoo
ganz einfach: wir nehmen eine Puppe, die dem Menschen nachgebildet ist, dem wir
schaden wollen, und stecken eine oder mehrere Nadeln hinein – basta!
Zeichentheoretisch
ist die Angelegenheit komplizierter. Wenn wir Voodoo-Puppen semiotisch
verstehen wollen, müssen wir zusätzlich zu den Saussure’schen Begriffen signifiant und signifié auch die wirkliche Welt in die Zeichentheorie aufnehmen.
Wir machen dazu einen Umweg über die Venus, der sich aus mehreren Gründen
lohnt.
You don’t have to be a rocket scientist - man muss nicht Semiotiker sein, um auf die
Idee zu kommen, dass bestimmte Zeichen (wie z.B. Eigennamen) nicht nur aus zwei Aspekten, Teilen oder Polen bestehen, sondern aus drei. Die Saussure’sche
Unterscheidung zwischen signifiant
und signifié erklärt zwar, dass man
beim gesprochenen oder geschriebenen Zeichen /Venus/ eine formal-signifikante
und eine inhaltlich-signifizierte Ebene unterscheiden kann, lässt aber keinen
Platz für die wirkliche Venus, die als Stern vom Himmel leuchtet.
Die anderen wirklichen
Venusse (? – es gibt meines Wissens keine Mehrzahl), die Venus neben mir, die
Bilder der Venus, die an den Wänden der Museen hängen, und Venus Williams lassen wir vorerst weg; die
semiotische Sterndeuterei ist auch ohne sie kompliziert genug. Konzentrieren wir uns auf den Planeten
als das mit dem Zeichen gemeinte und daher verbundene reale Objekt. Damit wir
wissen, ob wir vom Objekt oder vom Konzept sprechen, müssen wir uns auf einen
Begriff einigen, mit dem wir nur die realen Objekte, die von Zeichen bezeichnet
werden, bezeichnen (ja, das sind die Tücken der Metasprache).
C. S. Peirce würde den Planeten
Referent nennen, was im Kontext der englischen Sprache relativ leicht zu verstehen ist: der Planet Venus ist
das Objekt, auf den sich das Zeichen Venus referentiell bezieht (engl: to refer to).
Der deutsche Semiotiker,
Semantiker und Logiker Gottlob Frege hat für die bezeichneten Objekte hingegen den Ausdruck Bedeutung vorgeschlagen
und damit viel zur babylonischen Sprachverwirrung beigetragen.
Laut Frege wäre das reale und sinnlich wahrnehmbare Objekt, das ich meine, wenn ich Venus sage, die (Achtung anti-intuitiv!)
Bedeutung des Zeichens Venus. Die Bedeutung
im Sinne Freges ist ein sinnlich
wahrnehmbarer Gegenstand. Es wäre im Sinne einer Eselsbrücke vielleicht
sinn-voller gewesen, den sinnlich wahrnehmbaren Aspekt des Zeichens Sinn zu
nennen, aber bleiben wir bei der historisch erfolgreichen terminologischen Konvention Bedeutung =
Objekt: wir können das Objekt bei gutem Wetter und
entsprechender Konstellation der Umlaufbahn am Abend und
am Morgen sinnlich am Himmel
wahrnehmen. Wenn Venus am Abend nach Sonnenuntergang sichtbar wird, nennen
wir sie Abendstern, wenn sie am Morgen wieder vor der Sonne auftaucht, nennen wir
sie Morgenstern. Von der Erde aus gesehen ist der Planet Venus immer in der Nähe der
Sonne, er geht mit ihr auf und unter, daher können wir ihn nur in der Dämmerung
und nie z.B. um Mitternacht sehen.
Im alten Weltbild der
griechischen Mythologie ist der Gedanke manifest, dass es sich bei Abend- und
Morgenstern um zwei unterschiedliche
Planteten handeln müsse. In der Antike heißt der Abendstern Hesperos, wovon sich – über das
lateinische vespera - das deutsche
Vesper (Abendgebet, Abendessen) ableitet. Der vor der Sonne aufgehende Morgenstern
wurde Phosphorus genannt, der Lichtbringer oder
Lichtträger, - lateinisch Lucifer.
Da es sich trotz aller
konzeptuellen und konnotativen Unterschiede zwischen Abendstern und Morgenstern,
zwischen Hesperos und Phosphorus um dasselbe physische Objekt handelt, sagt
Frege: die Bedeutung von Abendstern und Morgenstern ist dieselbe, der Sinn ist
nicht derselbe.
Ein perfektes Beispiel,
um den Begriff der Bedeutung zu illustrieren, – aber eben nur fast: manchmal ist nämlich der Merkur Abend- und Morgenstern. In diesen
Fällen gilt zwar: „die Bedeutung von "Abendstern" (Merkur) und
"Morgenstern"(Merkur) ist „dieselbe“, aber es gilt auch: Die
Bedeutung von „Abendstern und Morgenstern (Venus)“ ist nicht dieselbe wie die
Bedeutung von „Abendstern und Morgenstern (Merkur)“.
Wenn ich die
astronomischen Quellen im Netz richtig deute, dann fungiert derzeit noch die
Venus als Morgen- und Abendstern; Ende November wird dann Merkur ihre Rollen für
ein paar Tage übernehmen.
Zurück zur Voodoo-Puppe:
Es ist wichtig zu wissen, was jeweils die konkrete Bedeutung im Sinne Freges ist,
schließlich müssen wir die Voodoo-Nadel in die richtige Puppe stechen, wenn wir
die Venus (und nicht den Merkur) treffen wollen.