Uhren
sind mehr als Chronographen (Zeit-Auf-Schreiber), mehr als Zeichen für den Stand
der Sonne im Verhältnis zu unserem eigenen Standpunkt. Warum sollte man(n) sonst eine
gefälschte Rolex tragen, die die Zeit
weniger verlässlich anzeigt als eine billige Swatch?
Aus
semiotischer Sicht sind vor allem die sozialen Faktoren interessant, die mit
Uhren verbunden sind. Schauen wir auf unsere Armbanduhr: sie hat uns am Gängelband.
Wer eine Armbanduhr tragen muss, ist arm dran. Nicht die Uhr ist an uns angebunden,
sondern wir an sie. „Big Brother ist watching you“ – darin steckt der Begriff „watch“
= „überwachen, bewachen, beobachten“ aber auch „Uhr“. Die wristwatch hat uns am
Arm gepackt, der Griff ist fest, firm.
Vor der Invasion der Plastikdinger waren
auch die billigsten Armanduhren wertvoll, ein Gebrauchsgegenstand für
Erwachsene und kein modischer Schnickschnack oder gar Kinderspielzeug. Die Uhr am
Arm hat bekräftigt (confirmiert),
dass man erwachsen geworden ist.
Im
religiösen Sinn bekräftigt die confirmatio
die Taufe, die dem Kind ja ohne dessen Zustimmung übergestülpt wird. Erst der/die
Gefirmte ist stark genug, dem Teufel (Gott-sei-bei-uns) zu widerstehen und sich
selbstverantwortlich zum Glauben zu bekennen. Dieser Gedanke ist auch in der Jüdischen
Tradition präsent, Bar Mizwa bedeutet „Sohn der Pflicht“, mit anderen Worten,
die neu erreichte Eigenverantwortlichkeit. Rede und Antwort stehen - etwa wenn man zu spät kommt.
Der
religiöse Kontext kann nicht ausreichend erklären, warum ausgerechnet eine Armbanduhr das traditionelle Geschenk
bei der Firmung oder Konfirmation war. Den entscheidenden Hinweis findet man,
wenn man an das zweite klassische Firmungsgeschenk denkt, das Fahrrad. Das
Fahrrad braucht man nicht, um rechtzeitig zur Frühmesse in die Kirche zu
kommen, sondern als billigstes mechanisches Transportmittel um rechtzeitig in
die Fabrik zur Arbeit zu kommen.
Die Armen schenken Ihren Kindern (mit oder
ohne Firmung) eine Armbanduhr, um zu zeigen, dass die unbeschwerte Zeit der
Kindheit und Jugend vorbei ist.
Im Alter der Firmung steigen die Menschen, die
nicht privilegiert sind, in den Arbeitsprozess ein. Sie sind damit nicht mehr
Herr über ihre Zeit. Wer seine Arbeitkraft verkaufen muss, verkauft seine Zeit.
Klischeehaft ausgedrückt: Der Boss hat eine Taschenuhr an einer Goldkette im Gilet, er hat die
Zeit. Der Arbeitnehmer kann sich weder die Zeit nehmen, um eine Uhr aus der
Tasche zu holen, noch hat er die Hände frei. Er kann nur, ohne sein Handwerk
unterbrechen zu müssen, einen gehetzten Blick auf die Armbanduhr werfen.
Die
Urvölker hatten keine Uhren. Sie haben sich nach dem Stand der Sonne, des
Mondes und der Sterne gerichtet. Damit sind sekundengenaue Termine schwer
möglich.
Mittlerweile ist der Zeitdruck global so stark geworden, dass die
Uhren als Zeitpeitsche unser Handgelenk verlassen haben, jetzt können sich Breitling&Co.dort als Schmuckstück und Statussymbol breit machen. Die neuen Herren der Zeit haben sich parasitär überall dort eingenistet,
wo wir arbeiten und spielen: auf dem Computerbildschirm, auf dem
Flachbild-Fernseher, dem Armaturenbrett und natürlich auf dem Handy.
Mein Wecker piepst - die Zeit, die ich mir für diesen Post genommen habe, ist abgelaufen.
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