Mein Großvater hat von meinem Ur-Großvater eine kaputte
Taschenuhr geerbt, die niemand reparieren konnte. Aber auch nach einer
Reparatur wäre diese Uhr unbrauchbar geblieben, denn das Zifferblatt zeigte 10 Stunden an, oben war ein X anstelle der Ziffer 12, unten ein V.
Uhren mit Zeigern und Zifferblatt repräsentieren das alte
Weltbild vor Kopernikus und Galileo: der Mensch blickt von oben auf sich
selbst, er sieht sich im Mittelpunkt des Zifferblatts, alles dreht sich um
ihn. Die Sonne, manchmal als Kreis an der Spitze des Stundenzeigers abgebildet,
zieht ihre Bahn rund um die Erde. Bezugspunkt ist die Stellung der Sonne zum
Betrachter, der mit der Hand (hand
ist der englische Ausdruck für Zeiger) auf die Sonne zeigt, die zu Mittag am höchsten Punkt steht: high noon.
Die ersten Uhren mit Zifferblatt (Karl Valentin würde auf Ziffer-n-blatt bestehen, nach seiner Semmel-n-Knödel-n-Logik) waren Ein-Hand-Uhren mit
einem Stundenzeiger; der Minutenzeiger kam erst später dazu, als die Uhrwerke
genauer wurden.
Ein Zifferblatt, das eine vollständige ikonische Abbildung der
„Kreisbahn“ der Sonne um die Erde darstellt, umfasst – nach unserer Einteilung
– 24 Stunden. 24-Stunden-Uhren
sind meines Wissens nicht sehr weit verbreitet. Bei diesen Uhren zeigen beide
„Hände“ um Mitternacht direkt nach unten, wo bei „konventionellen“ Uhren, die
Tag und Nacht als 12-stündigen Vormittag (ante = vor)
und ebenso langen Nachmittag (post =
nach) übereinander blenden, 6 Uhr ist.
Der Begriff „konventionell“ ist ein zentraler Terminus der
Semiotik, der auch im Zusammenhang mit Uhren wichtig ist, deren 12- bzw. 24-
Stunden Einteilung uns so sehr in Fleisch- und Blut übergegangen ist, dass sie
uns natürlich erscheint. Tatsächlich ist diese Einteilung ähnlich konventionell
wie die Bedeutung Stop für die rote Verkehrsampel (dazu mehrere Posts von mir,
besonders: Red Revolutions per Minute).
In Zeiten der Französischen Revolution wurde auch die Zeitrechnung
umgestellt. Aus dem, wie die Revolutionäre sagten, „vulgären“ 12-Stunden-Tag
wurde ein „vernünftiger“ 10-Stunden-Tag. Die alten Uhren brauchten neue
Zifferblätter. Diese neue Zeitrechnung setzte sich bekanntlich ebensowenig durch
wie die 10-Tage-Woche. Man kann jedoch in französischen Museen noch Uhren finden, die ein
Zifferblatt mit 10 Stunden haben.
Heute könnte man diese „unkonventionellen“
und damit im Alltag unbrauchbaren Uhren noch verwenden, um den Teufel zu
verwirren.
Auf der Insel Malta habe ich eine Kathedrale gesehen,
die zwei Türme hat, an denen je eine Turmuhr angebracht ist. Diese beiden Uhren
zeigen nie dieselbe Zeit an. Eine der beiden Uhren wird absichtlich immer so
eingestellt, dass sie falsch geht, denn die Malteser glauben, dass der Teufel eine
Liste hat, in der die Todesstunde seiner Opfer vermerkt ist.
Mit dieser Liste
kommt er auf die Erde, um sich die verdammten Seelen zu holen. Wenn er jedoch
nach Malta kommt und die beiden unterschiedlichen Uhren sieht, ist er verwirrt, weil er nicht
weiß, welche Uhr die richtige Zeit anzeigt. Bekanntlich hat der Teufel keine
eigene Uhr, auf die er sich verlassen könnte!
In dieser kurzen Zeit der
Verwirrung hat die Seele der Verstorbenen Zeit, in den Himmel zu gelangen.
So oder so
ähnlich wird diese Geschichte an vielen Orten der Welt erzählt. Aus Irland (und
als Filmtitel) kennen wir dazu den frommen Wunsch: May you be in heaven half an
hour before the devil knows you're dead.