Bei einer semiotischen Analyse stehen immer Kommunikationssituationen im Zentrum, da in ihnen per definitonem Zeichen gesetzt, gesendet und gelesen werden: es
werden Zeichenhüllen als Formen (z.B. als Laute, Gesten, Körperhaltungen,
Buchstaben, Bilder etc.) mitgeteilt und empfangen. SenderInnen und
EmpfängerInnen hoffen bzw. erwarten im Regelfall, dass an diesen Formen die üblichen
(= für beide Seiten richtigen und annähernd identen) Inhalte hängen. Dabei ist
grundsätzlich zu beachten, dass weder das Setzen noch das Lesen der Zeichen
bewusst und absichtlich sein muss.
Es ist nicht notwendig, an dieser Stelle bereits
tiefer in die Zeichentheorie und die semiotische
bzw. semiologische Fachterminologie einzusteigen, da wir alle in der Praxis ohnehin
(und ohne Fachterminologie!) gute, geübte und meist erfolgreiche
ZeichensetzerInnen und -leserInnen sind, - von Missverständnissen abgesehen. (Dazu kommt ein eigener Post.)
Das Alte Testament geht nicht auf die Frage
ein, wie (= mit welchen Zeichen) der Herrgott ein Opfer von Kain und Abel
verlangt hat, ob er mit ihnen nonverbal bzw. per Gedankenübertragung
kommuniziert hat, oder ob die beiden Brüder selbst auf die Idee (Einbildung?) gekommen
sind, durch zeichenhafte Opfer mit dem Herrn zu kommunizieren. Wir wissen zwar
nichts über die Zeichen, die vor den Opferzeichen stehen, allerdings wissen
wir, dass der Gott des Alten Testaments manchmal Opfer direkt verlangt, etwa
von Abraham, dessen Glauben der Herrgott testet, indem er ihn auffordert, seinen eigenen Sohn zu opfern.
Durch diese archetypische Zwickmühle thematisieren
wir den immer aktuellen Konflikt zwischen Autoritätshörigkeit und Menschenliebe,
zwischen kollektivem Todestrieb und individuellem Lebenstrieb. In Gehorsam (z.B.
Kadavergehorsam) und Hörigkeit steckt das „auf die Stimme der Macht hören“, was
uns einerseits wieder zu den bereits in einem vorhergehenden Post erwähnten
Versuchen von Milgram und Zimbardo führt, und andererseits zum Leitmedium der rebellierenden Jugend der 60er-Jahre, den
Songs der Singer/Songwriter. Abrahams Zwickmühe hat darin zwei deutlich
unterschiedliche Spuren hinterlassen: Cohens besinnliche „Story of Isaac“
(1969) und Bob Dylans „Highway 61 revisited“ (1965), in dem Gott expressis verbis von Abraham ein
Menschenopfer verlangt und sich sofort eine „rotzfreche“ Antwort einhandelt: 'God said
to Abraham „kill me a son“', heißt es bei Dylan. Abrahams Antwort ist legendär-antiautoritär
und für die damalige Zeit (Vietnamkrieg!) typisch: 'Abe said „Man, you must be
putting me on!"' – auf Deutsch etwa: Alter, das meinst Du wohl nicht ernst, Du
willst mich wohl...“.
Es ist in den alten Quellen meines Wissens
nicht ganz genau beschrieben, wie der Herrgott auf die beiden Opfer reagiert,
fest steht nur, dass er unterschiedlich reagiert. Die Vulgata, die alte lateinische Fassung, drückt die Reaktion mit einem Begriff aus, der an eine
zentrale Qualität im Hip-Hop und Street Art-Leben erinnert: Respect!
Die
Vulgata schreibt, der Herr habe Abels Opfer „respektiert“ (respexit) und Kains Opfer „nicht respektiert“ (non
respexit), bei Luther lesen wir, der Herr sah das Opfer Abels „gnediglich“
(=gnädig) an, das von Kain sah er „nicht gnediglich“ an, in der Elberfelder
Bibel (1905): Und Jehova blickte auf Abel und auf seine Opfergabe; aber auf Kain und auf seine Opfergabe blickte
er nicht.
So wird der Blick zum intuitiv verständlichen Zeichen: Abel wird beachtet, Kain missachtet.
Bleiben wir bei der letzten Übersetzung, in
der Gott dem Kain „die kalte Schulter zeigt“, indem er sein Opfer nicht einmal
anblickt. Wie bereits in einem früheren Post ausgeführt, ist es im Prinzip gleichgültig,
ob man diese Geschichte mit zwei Brüdern, zwei Schwestern, dem Großvater, der
Mutter oder sonst einer passenden ménage à
trois nacherzählt, wichtig ist die Tatsache, dass der/die Ignorierte die fehlende Reaktion des Ansprechpartners als Zeichen
auffasst, denn „Man kann nicht nicht kommunizieren“, wie das geflügelte Wort
von Paul Watzlawick heißt. Keine Antwort ist auch eine Antwort, sagt man; es ist wie beim Tischtennis: wenn auf das Ping (das
Opfer) kein Pong (keine Reaktion) folgt, es kommt zu
keinem Ping-Pong-Spiel.
Es in diesem Zusammenhang noch nicht wichtig,
ob der Herrgott nun einfach nicht reagiert habe, ob er „nicht gnediglich“ oder gar nicht geschaut habe, ob er seine Ablehnung durch ein anderes Zeichen ausgedrückt
hat oder ob sich Kain die Ablehnung nur eingebildet hat. Interessant wird diese
Frage erst im Zusammenhang mit intersemiotischen Überlegungen im Hinblick auf
die bildliche Darstellung der Opferszene, auf die ich im nächsten Post eingehen
werde.
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